Hinweise | ANMELDEN

 

M E N U

 

 

::Home::

::News::

::Spielinfo::

::Flottenverband::

::Setting::

::Besatzung::

::Logbuch::

::Lexikon::

::Stilblüten::

::Kontakt::

 

From USS Baikonur

Prolog Ekaterina Rubliowa
Autor: Ekaterina Rubliowa
Sternzeit:


Katya Rubliowas braunes Haar flog lustig hinter ihrem Kopf her. Lachend kletterte sie auf den Schoß ihrer Mutter, die derzeit an der Kopiloten-Konsole des kleinen, familieneigenen Shuttles saß. Ihr Mann Dimitri steuerte das kleine Schiff beständig auf Risa zu.

Tanya drückte an ihrer Schwester herum, bis sie bereitwillig auf das äußere Bein der gemeinsamen Mutter geklettert war. Tatiana Ekaterina Rubliowa zog ihre ältere Tochter auf das Bein, auf dem bis grade noch die fünfjährige Katya gesessen hatte. Die beiden Schwestern waren der ganze Stolz des älteren Ehepaares. Lange hatten sie auf die Geburt der siebenjährigen Tanya gewartet. Sie hatten nicht damit gerechnet, überhaupt noch Kinder zu bekommen und waren dann umso erstaunter gewesen, als sich zwei Jahre später auch Katya noch einstellte.

Dimitri Rubliow war froh, daß er seine beiden Mädchen hatte. Nicht nur, weil er und seine geliebte Tatiana sich stets Kinder gewünscht hatten, sondern weil so die Familie weiter existieren würde. Seine alte Babuschka, seine Großmutter, hatte stets behauptet, daß ihre Ahnen einst am Hofe von Peter dem Großen verkehrt waren. Alter Landadel, hatte sie stets stolz behauptet.

Katya spähte an ihrer älteren Schwester vorbei zu ihrem Vater. "Wann sind wir denn endlich da?", fragte sie mit dem quengelnden Tonfall, der ihre Eltern in den Wahnsinn treiben konnte. Dimitri verdrehte die Augen. "Zwei Minuten früher als beim letzten Mal, daß Du gefragt hast.", antwortete er.

Tatiana lachte gutmütig. Sie brachte meist mehr Verständnis für solche Fragen ihrer Kinder auf. Denn schließlich hatten die beiden ihre ungeduldige Art und ihr hochfahrendes Temperament von ihr selber geerbt. Und außerdem waren die beiden ja auch noch so klein.

"Und wann ist das?" fragte Katya nach. Sie wollte sich mit der ungenauen Antwort ihres Vaters nicht zufrieden geben. Auch Tanya nickte eifrig. Zwar spielte sie gerne die erwachsene Dame, doch war sie im Inneren nicht weniger verspielt als die jüngere Schwester. "Jetzt.", beantworte Dimitri die Frage und verlangsamte das Shuttle auf Unterwarp-Geschwindigkeit. Behende steuerte der Berufspilot das Shuttle in das System ein und langsam näherte es sich Risa. Tatiana deutete auf einen langsam größer werdenden Planeten. "Das ist Risa." erklärte sie. "Hier werden wir unseren Urlaub verbringen." Tanya hüpfte vom Schoß ihrer Mutter und rief euphorisch: "Das ist der schönste Tag in meinem Leben!" Katya kletterte ihrer Schwester hinterher und stimmte in das fröhliche Gejauchze ihrer Schwester ein. Hätten die beiden Mädchen gewußt, was noch kommen würde, so hätten sie diese Aussage sofort zurückgenommen.


Entsetzt sah Dimitri Rubliow den Planeten näher kommen, viel schneller, als es ihm lieb gewesen wäre. Ausgerechnet beim Anflug auf den Raumhafen Risas waren die Navigationssensoren und die Stabilisatoren ausgefallen. "Zieh wieder hoch!", rief seine Frau entsetzt. "Dazu ist es zu spät!", erwiderte er. Dimitri fühlte Panik in sich aufsteigen. Der Frachterpilot hatte nie wirklich damit gerechnet, einmal in solch eine brenzlige Situation zu geraten. Aber nun war es soweit. Und ausgerechnet dann, wenn sich seine Familie mit an Bord befand. Wieso konnte das nicht auf seiner Route Erde-Vulkan passieren?

"Ich muß eine Notlandung ein Stück vom Raumhafen entfernt versuchen.", gab er an. Eine Landung auf dem Raumhafen kam so nicht in Frage. Dann würde er das Shuttle in jedem Fall verlieren. Außerdem gefährdete er so nur unnötig zusätzliche Menschen. Bemerkten die Risaner denn nicht, daß das kleine Shuttle sich in Gefahr befand?

Tatiana krallte sich an ihrem Sitz fest. Sie warf einen kurzen Blick hinter sich und stellte dabei fest, daß ihre beiden Kinder glücklicherweise in ihren Sitzen waren. Als sie, nur Augenblicke später, ihren Kopf wieder dem Fenster zuwandte, bemerkte sie mit Grauen, daß der Planet unglaublich nah war. Sie hatte den Eindruck, die Bäume unter sich mit ihren bloßen Händen greifen zu können.

"Da!", keuchte Dimitri. Er hatte offenes Grasgelände entdeckt. Einen besseren Ort als hier würde er für seine Notlandung nicht finden. "Shuttle Rubliow, hier Risa-Kontrolle. Benötigen Sie Hilfe?", hörte Tatiana eine unbekannte Männerstimme aus den Bordlautsprechern.

Dann schlug das Shuttle mit voller Wucht auf dem Planeten ein. Es rutschte, buckelte, holperte, überschlug sich schließlich. Dann blieb es auf die Seite gestürzt liegen. Der einzige Laut an Bord kam aus den Lautsprechern. "Shuttle Rubliow, antworten Sie! Hallo?"


Zwei Wochen später stand Marusia Rubliowa auf einem grünen Hügel. Es war Frühling in Rußland, die Vögel zwitscherten fröhlich, die Luft roch nach wiedererwachendem Leben. 'Was für eine fröhliche Szenerie für einen derartig traurigen Anlaß.', dachte die alte Frau traurig. Ihr Blick wanderte von den beiden Särgen zuerst zu dem einen Kind, das sich an ihre Hand klammerte, dann zu dem anderen Kind an ihrer anderen Hand. Sie schloß einen Moment ihre Augen. Sie fühlte sich überfordert mit der Aufgabe, die nun auf sie zukam. Sie war eindeutig zu alt, um die beiden Wildfänge aufzuziehen, auch wenn sie derzeit eher an geduschte Hauskätzchen erinnerten und nicht an Wildkatzen. Aber ihre kleinen Herzchen würden mit der Zeit wieder heilen und dann stand ihr selber eine schwere Zeit bevor. Himmel Hilf, sie würde zwei Mädchen durch die Pubertät bringen müssen.

Gemeinsam traten die letzten drei lebenden Rubliowas vor. Mit ihnen würde auch die alte, stolze Familie sterben. Selbst wenn die Mädchen einmal heirateten und Kinder bekamen, so würden diese doch nicht den Namen Rubliow tragen.

Marusia ließ Tanya los, die sie an ihrer rechten Hand gehalten hatte, und nahm eine kleine Schaufel voll Erde auf. Dann ließ sie die Erde in das große Doppelgrab fallen. Sie reichte die Schaufel an Tanya weiter. Diese nahm sie in ihre linke Hand und ließ ein wenig Erde auf die Särge der Eltern fallen. Die Kleine hatte sich in den vergangenen zwei Wochen die Augen nach ihren Eltern ausgeweint. Jetzt war sie gefaßt. Sie schien sich langsam mit dem Tod der Eltern abzufinden. Katya machte ihrer Großmutter da viel größere Sorgen. Das Kind hatte bisher keine einzige Träne vergossen. Sie rief nie nach den Eltern, sie beklagte sich nie. Sie saß nur teilnahmslos in einer Ecke des Raumes. Nichts schien sie wirklich zu erreichen. Während Tanya den ganzen Tag trotzte kam Katya jeder Anweisung, jeder Bitte umgehend nach, völlig emotionslos. Tanya reichte die Schaufel an ihre Schwester weiter. Diese griff mit der linken Hand zu und ließ teilnahmslos Erde auf den Sarg ihrer Mutter fallen. Marusia war stolz auf ihre Enkelkinder. Beide hatten die enorme Körpergröße ihres eigenen Sohns geerbt, die Züge waren jedoch zart und weich, so wie Tatianas Züge gewesen waren. Tanya hatte die weichen, blonden Haare ihres Vaters geerbt, Katya hatte wilde, dunkelbraune Locken, so wie ihre Mutter. Beide verfügten über warm leuchtende braune Augen, so wie sie selber. Marusia Rubliowa ergriff wieder Tanyas Hand, nachdem Katya die Schaufel zurück auf den Topf mit Erde gelegt hatte. Langsam ging sie mit ihren beiden Enkeltöchtern auf das große Haus der Familie zu. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie einer der Dorfbewohner die Schaufel aufhob, um nun seinerseits an der Beerdigung von Dimitri und Tatiana teilzunehmen.


Tanya Rubliowa nahm einen grünen Pulli aus ihrem Schrank und legte ihn zu den anderen, die sich bereits in ihrem Koffer befanden. Ächzend versuchte sie, das altmodische Monstrum von Koffer zu schließen, was ihr aber wegen der Fülle der Kleidungsstücke hierin nicht gelingen wollte.

"Hilf mir schon, Katya!", rief sie zu der zarten Sechzehnjährigen, die blaß in der Tür stand. Diese schüttelte erst den Kopf, dann seufzte sie, gab sich sichtbar einen Ruck und kam herüber zum Bett ihrer älteren Schwester, auf dem der fragliche Koffer lag.

Es half ja alles nichts. Tanya würde gehen und sie selber würde hier mit der alten Haushälterin der Familie zurückbleiben. "Falls etwas passiert, kannst Du mich jederzeit über Subraumfunk erreichen.", hatte Tanya gesagt, als sie ihrer jüngeren Schwester von dem Job-Angebot des alten Arbeitgebers ihres verstorbenen Vaters erzählt hatte. Sie würde lernen, Shuttles zu fliegen. Eine Ironie, wenn man bedachte, daß die beiden Mädchen ihre Eltern ausgerechnet in einem Shuttle-Unfall verloren hatten. Aber die Möglichkeiten waren beschränkt. Tanya wußte noch nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte, nun da die Schulzeit für sie selber vorbei war. Das Angebot auf der Erde-Vulkan-Route mitzufliegen, war ihr da gerade recht gekommen. So war sie niemals über lange Zeit von Zuhause weg, so daß sie sich um Katya kümmern konnte.

Katya klappte den Deckel herunter und setzte sich mit ihrem zierlichen, kleinen Körper darauf. In den vergangenen zwei Jahren war sie kaum noch gewachsen, so daß sie glaubte, nicht mehr wesentlich größer zu werden als die 158 cm, die sie derzeit maß. Niemand hätte gedacht, daß sie bereits 16 Jahre alt war. Sie wirkte wie ein viel jüngeres Mädchen. Tanya klappte die Schließen des Koffers herunter, die wunschgemäß einrasteten.

"In einem Notfall ist Tante Anastasia innerhalb einer halben Stunde hier. Mach Dir keine Gedanken.", hatte sie gesagt, aber von ihrer Schwester nur einen traurigen Blick aus großen, verdächtig schimmernden Augen geerntet.

Nach dem Tod der Eltern war Tanya alles gewesen, was Katya gehabt hatte. Tanya war nach der Beerdigung wortlos bei ihrer jüngeren Schwester eingezogen. Die beiden Mädchen hatten eine beinahe symbiotische Beziehung zueinander entwickelt. Wo die eine war, da war auch die andere gewesen. Sie hatten in einem Bett geschlafen, ihre Kleidung in den selben Schrank gelegt und ihre Schulbrote geteilt. Ihre alte Babuschka hatte die beiden Mädchen gewähren lassen, wußte sie doch, daß sie einander so über die schwere Zeit nach dem Unfall hinweg geholfen hatten.

Und so hatten beide Mädchen nach einigen Monaten das Lachen wieder erlernt. Tanya war wieder in ihr eigenes Zimmer gezogen, die tiefe Bindung zwischen den beiden war jedoch bestehen geblieben. Fortan hatte wieder das Lachen im Hause Rubliow geherrscht.

Dann hatten die beiden Mädchen ihre Großmutter verloren. Ihr Tod war nicht unerwartet gekommen, war sie doch alt und schon lange krank gewesen. Da Tanya zu dieser Zeit bereits 17 Jahre alt gewesen war, hatte Tante Anastasia erklärt, die beiden Mädchen könnten in Rußland in ihrem Heim bleiben, anstatt zu ihr nach England zu ziehen. Die beiden hatten freudig angenommen, hatten sie hier doch alles was zählte. Die Schulfreunde, das alte Familienanwesen und sich selber.

Aber nun war die Zeit gekommen, wo Tanya in ihr eigenes Leben aufbrach und Katya in Rußland zurückblieb. Es würde einsam werden ohne die Schwester, nur mit der alten Haushälterin.

"Ich werde an den Wochenenden hier sein." hörte Katya die Stimme ihrer Schwester neben sich. Zärtlich streichelte sie die Hand der jüngeren. "Du wirst sehen, es wird eine tolle Zeit werden. Und bevor Du Dich umsiehst, wirst Du mit mir auf der Erde-Vulkan-Route fliegen."

Katya wandte ihr Gesicht zu ihrer Schwester um. Langsam machte sich ein Lächeln darauf breit. Vielleicht würden die nächsten zwei Jahre doch schön werden. Sie war sechzehn Jahre alt und lebte für sich alleine. War das nicht der Traum all ihrer Schulkameraden?


Und es war eine schöne Zeit gewesen, stellte Katya sechs Jahre später fest. Diese beiden Jahre hatten sie früh erwachsen werden lassen. Während ihre Kameradinnen noch den ganzen Tag von Musik, Kleidern und Jungen redeten, gestaltete sie bereits ihre Zukunft. Sie las, arbeitete am Haus und wußte schon nach wenigen Monaten, daß sie ihrer Schwester nicht auf die Erde-Vulkan-Route folgen würde. Sie würde die Sternenflottenakademie besuchen und anschließend auf großen Schiffen durchs Weltall reisen. Sie würde die erstaunlichsten Orte sehen und irgendwann vielleicht einmal ein eigenes Schiff befehligen. Und so hatte sie ihre Bemühungen in der Schule verdoppelt und es tatsächlich geschafft, nach dem Abschluß den Aufnahmetest für die Akademie zu bestehen.

In den folgenden vier Jahren war sie ihren Ausbildern vor allem durch eins aufgefallen: Beständigkeit. Sie hatte ein gewaltiges Talent für beständiges Arbeiten, was ihr anhaltend gute Noten einbrachte. Zwar gehörte sie nie zu den Jahrgangsbesten, aber ihre Leistungen blieben stets gut. Sie war ein Allround-Talent, das zwar in keinem Fach brillierte, aber auch in keinem schwach war. Sie stellte sich mit der für sie typischen Ausdauer jedem Problem und löste es so auch. Ihr unbändiges Temperament zügelte sie von Jahr zu Jahr besser. Aus dem unbändigen Wildfang war eine zumeist beherrschte junge Dame geworden, die mit 22 die Sternenflottenakademie als frischgebackener Fähnrich verließ.

Der einzige Wermutstropfen in ihrer Freude hierüber war die Tatsache, daß sie nun nicht mehr die Gelegenheit haben würde, ihre Schwester an den Wochenenden zu sehen. Aber zum ersten Mal in ihrem Leben drehte sie selber einem Lebensabschnitt den Rücken und wurde nicht selber zurückgelassen.


Seufzend musterte Katya sich im Spiegel ihres Quartiers. Sie blickte in ein eher blasses, aber fein geschnittenes Gesicht, aus dem ernste, dunkle Augen hervorblickten. Ihr leicht gewelltes, braunes Haar war zu einem Knoten hochgesteckt, an ihrer Schläfe kringelten sich vorwitzige, kleine Löckchen. Ihr Gesichtsausdruck wirkte wie ihre Augen - viel zu ernst, für eine junge Frau von 23 Jahren. Ihre Finger tasteten verwundert ihren neuen Rangpin ab. War das wirklich sie, die da gerade befördert worden war? Es kam ihr vor, als hätte sie erst gestern die Akademie verlassen, mit nichts als hehren Zielen im Kopf.

Die Wirklichkeit hatte sie hier sehr schnell eingeholt. Endlose lange Nachtschichten an der Conn der Mandela, erfüllt von dem Bemühen ihre Arbeit gut und diszipliniert zu machen, trotz der Öde, die sie verspürte. Einziger Lichtblick waren die langen Gespräche mit Tanya gewesen und die Urlaube, die sie mit ihrer Schwester und deren Familie verbracht hatte. Sie fühlte sich wohl bei den Rubliows.

Lachend mußte sie daran zurückdenken, daß ihre Schwester sich geweigert hatte, Frank zu heiraten, bis er zustimmte, ihren Namen zu tragen. Und so wurde Babuschka Marusias größter, heimlicher Wunsch doch noch erfüllt, die Familie würde weiter bestehen. Sie wäre hocherfreut gewesen, wenn sie ihren ersten Urenkel, Baby Dimitri, der erst vor zwei Wochen das Licht der Welt erblickt hatte, noch kennengelernt hätte.

Aber was war mit ihr selber? Würde sie zum Fortbestand der Familie beitragen? Es sah nicht danach aus, das war ihr heute Abend wieder schmerzlich bewußt geworden. Alle hatten gefeiert und gelacht, sie hatte sich den Anschein gegeben sich ebenfalls gut zu unterhalten. Aber in Wahrheit hätte sie nichts lieber getan als sich in ihrem Bett zu verkriechen. Wenn sie beruflich auch in der Lage war, jedem Kollegen zu begegnen, so war sie im privaten doch lieber für sich.

Aber wie sollte sie so Anschluß finden? Noch dazu, wo sie, ihrer Meinung nach, nicht mit einem blendenden Äußeren gesegnet war? Zu klein, zu blaß, zu nichtssagend, lautete ihr Urteil über sich selber, auch wenn sie von ihren Schulfreundinnen oft gehört hatte, daß dies nicht der Fall war. Sie war jedoch stets davon überzeugt gewesen, daß die Mädchen ihr nur hatten schmeicheln wollen. Ihre Gedanken wanderten zu den grünen Feldern ihrer Heimat zurück. Zuhause war jetzt Hochsommer, hier auf der Mandela herrschte keine Jahreszeit, alle Tage waren genau gleich. Die Temperatur betrug jeden Tag 21 Grad Celsius, weil die meisten Humanoiden das als angenehm empfanden. Nie regnete es hier, niemals wurden ihre Haare hier vom Wind ergriffen.

Sie hatte noch fast ihren ganzen Jahresurlaub zu bekommen. Sie würde nach Hause fahren, dem Haus einen Besuch abstatten und sich durch Tante Anastasias Vorräte an selbstgebackenen Plätzchen futtern.


"Wollen Sie, Ekaterina Rubliowa den hier anwesenden Frederik Thompson zu Ihrem angetrauten Ehemann nehmen, ihn lieben, ehren und ihm gehorchen, bis daß der Tod Euch scheidet?" Die Augen aller Anwesenden waren auf Katya gerichtet. Der Pope, der sie bereits getauft hatte, sah lächelnd zu ihr auf.

Ihr Blick wanderte zu dem Mann im schwarzen Anzug, der neben ihr stand. Die Sonne strahlte vom Himmel, hinter sich spürte sie die Anwesenheit ihrer Freunde und ihrer Familie. Ihre kleine Nichte stand neben ihr und hielt den überdimensionalen Brautstrauß, den Katya ihr mit einem Zwinkern in die Hand gedrückt hatte. Sie liebte die 3-jährige und ihren 8-jährigen Bruder abgöttisch.

Sie öffnete den Mund, um laut und deutlich: "Ja!" zu sagen, so wie es allgemein von der Braut am Hochzeitstage erwartet wurde. Entsetzt mußte sie jedoch feststellen, daß kein Ton über ihre Lippen kam. Sie versuchte es erneut, aber so sehr sie sich auch Mühe gab, es wollte ihr einfach nicht gelingen. Entsetzt hob sie ihre Hände zum Hals. Wieso konnte sie nicht sprechen?

Freds Gesicht verzog sich zu einem maliziösen Lächeln. "Immer noch Bindungsängste, Katya?", fragte er spöttisch, dann begann er laut zu Lachen. Auch hinter ihr wurde Lachen hörbar, erst leise, dann immer lauter. Das Geräusch schwoll in ihren Ohren an, wurde ohrenbetäubend. Endlich bekam sie einen Laut heraus, sie schrie, so wie nur einmal zuvor in ihrem Leben.

Mit weit geöffneten Augen und fliegendem Atem setzte Katya sich in ihrem Bett auf. Schnell kletterte sie aus ihrem Bett und rannte ins Bad. Mit fliegenden Händen klatschte sie sich Wasser ins Gesicht, dann starrte sie in den Spiegel. "Willst Du Dich wirklich Dein Leben lang analysieren lassen?", fragte sie laut, nur um ihre eigene Stimme zu hören.

Im Nebenraum quietschte das Bett. Sie hörte, wie Fred leise ins Bad getappt kam. Wenige Augenblicke später fühlte sie seine beruhigenden Arme um sich. "Was ist denn los, Kleines?", fragte er, noch ein wenig verstört von dem Aufruhr, mit dem sie ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf geschreckt hatte.

Sie schloß kurz die Augen. Sie hatte es schon vor Monaten aufgegeben, ihre Gefühle vor dem Schiffscounselor verbergen zu wollen - wohl der Grund, warum aus den beiden überhaupt ein Paar geworden war.

Sie schob ihn sanft ein kleines Stück von sich weg. Wie sollte sie einen klaren Gedanken fassen können, wenn sie den Körper des Mannes, den sie liebte, so eng an ihrem eigenen fühlte?

"Ich weiß nicht so recht, Fred.", begann sie. "Irgendwie ist mir das ein bißchen zu viel auf einmal. Die Beförderung zum Lieutenant Commander vor nicht mal drei Wochen und jetzt Deine Bitte, Deine Frau zu werden." Ihre Stimme wurde mit jedem Wort leiser.

Er nahm sie erneut in die Arme. "Shhh, das ist nicht so schlimm, Kleines. Wir haben alle Zeit der Welt. Wir brauchen ja nicht sofort zu heiraten. Ich weiß, daß es für Dich schwierig ist Bindungen einzugehen. Es fällt Dir schwer, Dich auf emotionaler Ebene auf andere Menschen einzulassen. Wir schaffen das schon.", beruhigte er sie.

Ihr Blick wanderte wieder in den Spiegel. 'Wie willst Du es jemals vor den Traualtar schaffen?' schienen ihre großen, braunen Augen sie zu fragen.


Vier Jahre später hatte sich herausgestellt, daß sie nicht alle Zeit der Welt hatten. Nachdenklich ließ Katya eine letzte, gelbe Uniform in den Müllschacht fallen. Sie schloß seine Klappe und trat hinüber zum Tisch, auf dem sie nachdenklich ihren neuen, vollen Pip betrachtete. Karrieremäßig ging es blendend voran. Sie hatte sich innerhalb von weniger als 15 Jahren eine Stelle als Commander der Sternenflotte erkämpft. Sie hatte während all der Zeit stets zielstrebig auf ihr Ziel hingearbeitet, eines Tages Captain eines Sternenflottenschiffes zu sein. Wenn sie sich in den folgenden Jahren bewährte, dann konnte es schon bald soweit sein. Dann würde es in der Familie zwei Captain Rubliowas geben.

Der kleine Dimitri würde stolz auf sie sein. Sie lächelte zärtlich. Trotz der Tatsache, daß er bereits 12 Jahre alt war, bezeichnete sie ihr Patenkind noch immer als ihren "Kleinen", auch wenn der Kleine sie inzwischen um einen halben Kopf überragte. Ihr Neffe hatte beschlossen in ihre Fußstapfen zu treten und lernte mit Feuereifer, um einmal die Akademie besuchen zu können. Sie war sicher, daß er es mit seinem aufgeweckten, freundlichen Wesen einmal weit bringen würde, obwohl sie in ihm nicht unbedingt einen "Kommando" sah. Sie glaubte vielmehr, daß er einmal den Weg eines Diplomaten einschlagen würde - aber bis dahin würde noch viel Zeit vergehen.

Katya nahm die Pips auf und steckte sie an ihre neue, rote Uniform. Sie würde die Mandela verlassen müssen, um ihren neuen Posten als erster Offizier anzutreten. Sie ging mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Sie war 13 Jahre auf diesem Schiff geflogen, hatte unter 4 Captains in dieser Zeit gedient. Sie hatte hier gearbeitet, gelacht und geliebt. Sie würde Fred vermissen, den guten, alten Fred.

Zwei Jahre hatte er darauf gewartet, daß sie endlich zustimmte seine Frau zu werden. Es waren böse Worte gefallen, als sie schließlich beide einsehen mußten, daß es an der Zeit war, die Beziehung zu lösen. Aber ihre Freundschaft war zu diesem Zeitpunkt bereits zu beständig gewesen, um von ein paar unbedachten Worten zerstört zu werden und beide waren stark genug, sich für ihre Worte zu entschuldigen.

Zuerst war es schwierig gewesen. In den ersten paar Wochen hatten beide daran gedacht, sich versetzen zu lassen, wie sie einander später eingestanden hatten. Doch keiner von beiden hatte das Heim, das er auf dem Schiff gefunden hatte, einfach so aufgeben wollen. Schließlich hatte die Vernunft gesiegt und sie hatten gelernt, wieder miteinander umzugehen. Zögerlich hatte sich die Freundschaft, die sie viele Jahre verbunden hatte, wieder eingestellt.

Katya trat zum Bett herüber und legte einen letzten Pulli von ihrem Schrank in den Koffer. Sie klappte den Deckel herunter und versuchte, ihn zu schließen, was ihr wegen der Fülle der Dinge, die sich darin befand nicht gelingen wollte. Schließlich trat ein verschmitzter Ausdruck auf ihr Gesicht. Sie drehte dem Koffer den Rücken zu und ließ sich darauf plumpsen, so wie vor all den Jahren in Rußland auf Tanyas Koffer. Sie klappte die Bügel hinunter, die folgsam einrasteten. Ihr Blick wanderte in den Spiegel, in dem sie eine Frau entdeckte, die sich gerade genauso benommen hatte, wie vor fast genau 20 Jahren. Dann begann sie schallend zu lachen.


Die Eingewöhnung auf der USS Pegasus-A war Katya schwergefallen. Sie hatte gewußt, daß es mit ihrer zurückhaltenden Art schwer sein würde, Anschluß zu finden. Und so war es dann auch gekommen. Ihre Tage hatten so gut wie nur aus Dienst bestanden. Was sollte sie auch sonst tun? Sie war neu an Bord gewesen und hatte sich beweisen müssen. Es hatte ein halbes Jahr gedauert, bis sie die ersten privaten Gespräche geführt hatte. Es war ihr nicht leicht gefallen, aber sie hatte es getan. Sie hatte Teile von sich selber offengelegt.

Fred war stolz auf sie gewesen. Er hatte nie aufgehört sie zu counseln. "Du bist auf dem richtigen Weg, Katya. Du wirst sehen. Und eines Tages wirst Du auch Deine Bindungsängste überwinden.", hatte er gesagt. Aber wie lange sollte das denn noch dauern? Ihre Eltern waren vor mehr als 30 Jahren verstorben. Seither war ihr Leben zumeist in ruhigen Bahnen verlaufen. Wieso war es ihr nicht möglich, sich völlig auf einen anderen Menschen einzulassen?

Weil sie wußte, wie schnell man einen Menschen, den man liebte, verlieren konnte. Weil sie wußte wie es sich anfühlte, wenn man diesen geliebten Menschen verlor, beantwortete sie die stummen Fragen, die sie sich schon unzählige Male gestellt hatte. Nie war ein Gefühl intensiver gewesen, als das Gefühl des Verlustes vor all den Jahren. Es hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Und seither mühte sie sich mit kleinen Schritten in Richtung auf eine normale Beziehung ab.

Dennoch war es ihr bisher nur gelungen oberflächlichen Kontakt zu knüpfen. Sie wurde zu Feiern und allgemeinen Treffen eingeladen. Aber eine wirkliche, tiefe Freundschaft hatte sie in den vergangenen vier Jahren nicht finden können. Sie saß, wie häufig an den Abenden, im Chefsessel, als sie unvermutet von Captain Linton hörte. Sie respektierte den weißhaarigen Mann, ebenso wie er sie respektierte. Von einer Freundschaft konnte zwischen den beiden jedoch nicht die Rede sein. Umso erstaunter war sie, als er sie bat, ihn in seinem Quartier aufzusuchen.

Sie bestätigte seinen Befehl kurz und winkte dann zu Lieutenant Heathcliff herüber, er möge während ihrer Abwesenheit das Kommando übernehmen. Sie betrat den Turbolift und fuhr zu Deck 3, auf dem sich das Quartier des Captains befand. Mit schnellen, langen Schritten, die für eine Frau ihrer eher geringen Körpergröße überraschten, legte sie die wenigen Schritte zu seiner Tür zurück. Erwartungsgemäß wurde sie sofort eingelassen.

Captain Jerome Linton saß in einem bequem aussehenden Sessel und blickte auf die Sterne, die hinter seinem Fenster langsam vorbeizogen. Die Pegasus war derzeit mit der Kartographierung des Zekatka-Systems beschäftigt. Katya ging zur Sitzgruppe hinüber und ließ sich vorsichtig, in einem ihm gegenüber stehenden weißen Sessel mit hohen Armlehnen nieder. Kerzengerade sitzend sah sie ihn fragend an.

Er wandte seinen Blick vom Fenster ab und sah sie an. Sie glaubte, in seinem Blick Trauer zu erkennen. Ein neben seinem Sessel auf einem Beistelltisch abgestelltes Glas schien ihre Vermutung zu bestätigen. Es war noch ein Bodensatz von einer gelblich-braunen Flüssigkeit darin zu sehen. Bourbon, wie sie auf der daneben stehenden Flasche ablesen konnte.

Sie wußte, daß der Captain sich viel darauf zugute hielt, diszipliniert zu sein. Zumindest eine teilweise Zuflucht in Alkohol zu suchen sah ihm nicht ähnlich. Es mußte schon etwas Schlimmes passiert sein, wenn er versuchte, einen Teil seiner Sorgen hiermit vorübergehend zu lindern. Geduldig sah sie ihn an und wartete auf das, was kommen sollte. Er fuhr sich einmal mit der Hand durch das schütter werdende Haar und setzte dann endlich zum Sprechen an.

"Ekaterina," hob er an, "es hat vor ein paar Tagen einen schrecklichen Unfall gegeben." Katya versteifte sich sofort. Ihre Hände gruben sich in die Lehnen des Sessels. Was war bloß passiert?

"Zumindest geht man derzeit noch von einem Unfall aus. Einer meiner engsten und ältesten Freunde kam dabei ums Leben. Auf seinem Schiff, der Baikonur, fand während des Jungfernflugs eine Explosion statt. Die Ursache ist derzeit noch ungeklärt, so lautet zumindest die offizielle Mitteilung der Sternenflotte. Sein erster Offizier hat in der Zwischenzeit das Kommando übernommen.", fuhr er fort.

Katya sah den älteren Mann mit überwältigender Sympathie an. Aber warum erzählte er ihr das? "Mein Beileid.", sagte sie. Er nickte stumm. "Ich werde Sie für den Posten vorschlagen.", führte er weiter aus. "Sie haben in den vergangenen vier Jahren hier hervorragende Arbeit geleistet. Sie werden ohne Zweifel ebenso hervorragende Arbeit als Captain eines Schiffes leisten. Sie haben die Geduld, die Energie und das Geschick, die richtigen Entscheidungen zu treffen, die dazu erforderlich sind."

Ihr Gesicht hellte sie auf. Sie freute sich, ein so offenkundiges Lob aus seinem Munde zu hören. "Ich weiß nicht, ob Sie das Kommando erhalten werden. Sie sind noch nicht allzu lange Commander, aber ich werde Sie wärmstens empfehlen.", fuhr er fort.

Sie nickte verstehend. Sie war ein geduldiger Mensch. Sie konnte warten. Wenn es mit der Baikonur nicht klappte, dann würde es zweifellos in einigen Jahren mit einem anderen Schiff klappen.

Sie stand auf, um das Quartier des Captains zu verlassen. Er hatte gesagt, was er ihr zu sagen hatte, jetzt hatte er ein Anrecht darauf, um seinen Freund zu trauern. Im Vorbeigehen legte sie ihre Hand kurz auf seinen Arm und drückte ihn sanft. Dann war sie aus seinem Quartier verschwunden.


Schließlich war alles erstaunlich schnell gegangen. Wenn sie die Worte zwischen den Zeilen richtig gelesen hatte, dann war es zumindest teilweise der Empfehlung Captain Lintons zu verdanken, daß sie den Job bekam. Sicher hatte ihre tadellose Dienstakte auch dazu beigetragen, aber sie war sicher, daß die Fürsprache ihres alten Captains ihr endgültig die Tür geöffnet hatte.

Sie grinste sich selber im Spiegel an. Vielleicht hatte ja auch die Tatsache, daß dem Schiff bereits zwei Wochen nach seinem Stapellauf zwei Captains abhanden gekommen waren etwas damit zu tun. Captain Trishir, der zunächst das Kommando hatte bekommen sollen, war unter mysteriösen Umständen verschwunden und dann war Captain Jericho auf dem Jungfernflug getötet worden.

Nach Auskunft von Admiral Shniklukreis, der für das Baikonur-Projekt verantwortlich zeichnete, hatte flapsig gemeint, daß Commander McNamara sie über den Ausgang der Probleme auf jenem tragischen ersten Flug unterrichten würde. Sie war ehrlich gespannt auf diesen Bericht.

Sie hatte nicht viel Zeit gehabt, sich mit dem Schiff und seiner Besatzung vertraut zu machen. Sie würde einige Abende dafür investieren müssen. Aber sie machte sich in der Hinsicht keine Sorgen. Die Akten der Führungsoffiziere hatte sie bereits studiert und war zu dem Schluß gekommen, daß es sich hierbei samt und sonders um fähige Offiziere handeln würde. Einzig Counselor Ranoos und Lieutenant Andasas Akten hatten ihr Rätsel aufgegeben.

In der Akte des einen gab es Hinweise auf Vorgänge, die vom Hauptquartier zur Verschlußsache erklärt worden waren, in der Akte des anderen fanden sich Ungereimheiten bezüglich eines als "Lagos-Zwischenfall" bezeichneten Vorgangs. Vielleicht würde sie noch herausfinden, was es damit auf sich hatte.

Sie verließ ihr Quartier auf der Pegasus ein letztes Mal, den verschrammten Koffer, der sie bereits seit ihrer Jugend begleitete, fest in der Hand. Mit schnellen Schritten legte sie den Weg zum Turbolift zurück. Sie erwartete keine besondere Verabschiedung. Sie hatte ihren Bekanntschaften bereits am Vorabend Lebewohl gesagt.

Sie betrat den Lift und ließ sich von ihm zum Haupttransporterraum der Pegasus bringen. Erstaunt stellte sie fest, daß der Captain gekommen war, um ihr sein Lebewohl zu entbieten. In stillem Einvernehmen drückte sie seine Hand. Dann war es soweit.

Sie betrat die Transporterplattform und wartete, daß sie entmaterialisierte. Schon wenige Augenblicke später würde sie keine Nummer Eins mehr sein, sondern ein Captain. Kein Netz und kein doppelter Boden mehr.


Als ihre Sicht wieder klar wurde, sah sie, daß eine Frau mit roten Haaren und eine mit dunklen Haaren bereits auf sie warteten. Sie trat, immer noch Ihren Koffer in der Hand haltend, von der Transporterplattform der Baikonur herunter und schüttelte erst Commander McNamara und dann Lieutenant Commander Fox die Hand.

"Willkommen an Bord!", vernahm sie die Stimme der Halbhaliianerin, deren Schläfen von Trill-Flecken geziert waren. Sie würde künftig Katyas rechte Hand sein. Katya erwiderte mit einem Nicken: "Danke schön." Dann folgte sie der Führung der jüngeren Frau aus dem Transporterraum der Baikonur. Ein neuer Abschnitt ihres Lebens hatte begonnen.


©2011 USS Baikonur This page was last modified on 2 November 2011, at 14:32.